Der Bundesgerichtshof hatte sich erneut mit der Thematik des sogenannten „Thermofensters“ zu befassen:
In dem hier entschiedenen Fall erwarb der Autokäufer im Oktober 2012 von dem beklagten Fahrzeughersteller ein Neufahrzeug vom Typ Mercedes-Benz C 220 CDI BlueEfficiency zu einem Kaufpreis von rund 35.000 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet und unterliegt keinem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Für den Fahrzeugtyp wurde eine Typgenehmigung nach der Verordnung 715/2007/EG mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
Die Abgasreinigung erfolgt in dem erworbenen Fahrzeug über die Abgasrückführung, bei der ein Teil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt wird, was zu einer Verringerung der Stickoxidemissionen führt. Die Abgasrückführung wird bei kühleren Temperaturen reduziert („Thermofenster“), wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Außen-/Ladelufttemperaturen dies der Fall ist.
Der Autokäufer behauptet, die Autoherstellerin habe durch den Einbau des Thermofensters und verschiedener weiterer Abschalteinrichtungen in verbotener Weise Einfluss auf das Emissionsverhalten genommen, so im Typgenehmigungsverfahren die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte vorgespiegelt und den Autokäufer dadurch vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Mit seiner Klage verlangt er von der Autoherstellerin im Wesentlichen die Erstattung des gezahlten Kaufpreises zuzüglich Finanzierungskosten, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs und abzüglich einer Nutzungsentschädigung.
Die Klage hatte in den Vorinstanzen vor dem Landgericht Koblenz1 und dem Oberlandesgericht Koblenz2 keinen Erfolg. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts steht dem Autokäufer kein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen die Autoherstellerin zu. Das Inverkehrbringen des vom Autokäufer erworbenen Fahrzeugs sei unabhängig von der objektiven Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des in der Motorsteuerung installierten „Thermofensters“ weder als sittenwidrige Handlung einzustufen noch ergebe sich daraus der erforderliche Schädigungsvorsatz der Autoherstellerin. Es könne ohne konkrete Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, dass die Verantwortlichen bei der Autoherstellerin in dem Bewusstsein agiert hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Die Gesetzeslage sei hinsichtlich der Zulässigkeit von „Thermofenstern“ nicht eindeutig. Soweit der Autokäufer eine Vielzahl weiterer Steuerungsstrategien zur Abgasreinigung behaupte, fehle es an einem konkreten Bezug zu dem hier in Rede stehenden Fahrzeug und damit jedenfalls an einem substantiierten, dem Beweis zugänglichen Sachvortrag.
Auf die Revision des Autokäufers hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Koblenz zurückverwiesen:
Das Oberlandesgericht Koblenz ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass die Entwicklung und der Einsatz der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) für sich genommen nicht ausreichen, um einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) zu begründen. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 19. Januar 20213 ausgeführt hat, ist der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit vielmehr nur dann gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Dies ist im Streitfall nicht festgestellt.
Unter den Umständen des Einzelfalles rechtsfehlerhaft hat das Oberlandesgericht Koblenz aber konkreten Sachvortrag des Autokäufers zu einer der weiteren behaupteten Abschalteinrichtungen als prozessual unbeachtlich angesehen. Aus diesem Grund war die Sache an das Oberlandesgericht Koblenz zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen hierzu treffen kann.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20