Behördliche Nutzungsuntersagung – und die fristlose Kündigung des Mietvertrages

Nach § 543 Abs. 1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB unter anderem dann vor, wenn dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird; letzteres kommt auch beim Auftreten eines Mangels in Betracht, der dem vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache entgegensteht1.

Dabei brauchte im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nicht im Einzelnen erörtert zu werden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen objektbezogene Mängel beim Brandschutz – unabhängig von einem Einschreiten der Ordnungsbehörde – schon deshalb einen Mangel darstellen, weil die Sicherheit der Nutzer des Gebäudes durch sie gefährdet ist. Denn außer reinen Beschaffenheitsfehlern der Mietsache können jedenfalls auch behördliche Beschränkungen und Gebrauchshindernisse die Tauglichkeit der Mietsache zu dem vertragsgemäßen Gebrauch in einer Weise aufheben oder mindern, dass sie einen Mangel im Sinne von § 536 BGB begründen. Letztere stellen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs freilich nur dann einen Mangel dar, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen und nicht in den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters ihre Ursache haben. Außerdem muss der Mieter durch die öffentlichrechtlichen Beschränkungen und Gebrauchshindernisse in seinem vertragsgemäßen Gebrauch auch tatsächlich eingeschränkt werden2. Diese Voraussetzung ist regelmäßig nur dann erfüllt, wenn die zuständige Behörde die Nutzung des Mietobjekts durch ein rechtswirksames und unanfechtbares Verbot bereits untersagt hat; allerdings kann ein möglicher Sachmangel im Einzelfall auch darin gesehen werden, dass eine langwährende Unsicherheit über die Zulässigkeit der behördlichen Nutzungsuntersagung die begründete Besorgnis bewirkt, das Grundstück nicht zum vertragsgemäßen Gebrauch nutzen zu können3.

Im hier entschiedenen Fall hat die Stadt B. dem Mieter die Nutzung der Mieträume durch einen sofort vollziehbaren Bescheid untersagt. Damit konnte das Gericht ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass das behördliche Einschreiten den Mieter in seinem vertragsgemäßen Gebrauch beeinträchtigen würde. Der an sich zutreffende Hinweis darauf, dass der Bescheid der Stadt B. im Zeitpunkt der Kündigungserklärung noch nicht bestandskräftig war und die aufschiebende Wirkung eines dagegen gerichteten Widerspruchs durch einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hätte wiederhergestellt werden können, vermag im Streitfall nicht zu verfangen. Zwar entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass es dem Mieter grundsätzlich zugemutet werden kann, behördliche Anordnungen betreffend den Gebrauch der Mietsache auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen4. Auf das Risiko eines verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits mit ungewissem Ausgang muss sich der Mieter aber jedenfalls dann nicht einlassen, wenn die Behörde bereits eine sofortige Untersagung der Nutzung der Mietsache verfügt hat und der Gegenstand der ordnungsbehördlichen Beanstandungen – wie hier die nicht brandschutzgerechte Ausführung der Fassadendämmung – außerhalb des Einwirkungsbereichs des Mieters liegt5.

Auch ist es für die Frage nach der Wirksamkeit der Kündigung unbehelflich, dass die Stadt B. in ihrem Bescheid die Anwendung unmittelbaren Zwangs (in Form einer Versiegelung der Mieträume) zur Durchsetzung der Nutzungsuntersagungsverfügung erst für den 1.08.2013 androhte. Denn das auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB gestützte Kündigungsrecht des Mieters besteht bereits dann, wenn im Zeitpunkt der Kündigungserklärung sicher feststeht, dass dem Mieter der Mietgebrauch nicht gewährt6 oder wieder entzogen wird7. Der Mieter brauchte daher mit seiner Kündigungserklärung nicht auf den Termin zuzuwarten, zu dem die Ordnungsbehörde die Ergreifung von Zwangsmitteln zur Durchsetzung der Nutzungsuntersagung angekündigt hatte.

Das Kündigungsrecht ist auch nicht nach § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Einer Fristsetzung oder Abmahnung bedarf es nach § 543 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht, wenn eine Fristsetzung oder Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg verspricht (§ 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB) oder die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist (§ 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BGB). Jedenfalls unter den letztgenannten Voraussetzungen ist nach den getroffenen Feststellungen eine sofortige Kündigung gerechtfertigt. Die Gebäudeeigentümer hatten eine ihnen von der Bauordnungsbehörde bis zum 31.05.2013 gesetzte Frist zur Herstellung eines brandschutzgerechten Zustands der Außenfassade verstreichen lassen, wodurch sich der klagende Verein als Mieter kurz darauf mit einer sofort vollziehbaren Nutzungsuntersagungsverfügung konfrontiert sah. Die Vermieterin behauptet selbst nicht, dass eine brandschutzgerechte Sanierung der Außenfassade zu erwarten gewesen wäre, bevor die Bauordnungsbehörde am 1.08.2013 die von ihr angekündigte Versiegelung der Mieträume vorgenommen hätte. Vielmehr beruft sie sich ausdrücklich darauf, dass die Ausfertigung eines nicht brennbaren Wärmeverbundsystems „unmöglich“ gewesen sei, weil ein in Vermögensverfall geratener Miteigentümer des Gebäudes den auf ihn entfallenden Anteil an den mit rund 120.000 € bezifferten Sanierungskosten nicht habe aufbringen können.

Allerdings ist noch nicht ohne weiteres von einer Beeinträchtigung oder Entziehung des vertragsgemäßen Gebrauchs auszugehen, solange die Behörde trotz eines Verstoßes gegen öffentlichrechtliche Vorschriften die formell ordnungswidrige Nutzung der Mietsache durch den Mieter duldet8.

Von einer zumindest faktischen Duldung der Nutzung durch die zuständige Behörde wird auch dann auszugehen sein, wenn sie zwar die Nutzung der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch bereits untersagt hat, vorläufig aber auf die Anwendung von Zwang zur Durchsetzung der Ordnungsverfügung verzichtet, um dem von der Nutzungsuntersagung betroffenen Mieter ausreichend Zeit für die Suche nach Ersatzräumen zu geben. In diesem Fall kann der „Makel“ der von der Ordnungsbehörde formell untersagten Weiternutzung der Mietsache deren Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch im Zeitraum bis zum endgültigen Auszug des Mieters möglicherweise einschränken, aber nicht vollständig aufheben9.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. November 2016 – XII ZR 153/15

  1. vgl. BGH, Urteile vom 20.11.2013 XII ZR 77/12 – NZM 2014, 165 Rn. 18; und vom 24.10.2007 XII ZR 24/06 – ZMR 2008, 274, 275[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2013 XII ZR 77/12 – NZM 2014, 165 Rn.20; BGH Urteil vom 16.09.2009 – VIII ZR 275/08 , NJW 2009, 3421 Rn. 6[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2013 – XII ZR 77/12 – NZM 2014, 165 Rn.20[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2013 XII ZR 77/12 – NZM 2014, 165 Rn.20; BGH Urteil vom 20.01.1971 – VIII ZR 167/69 – WM 1971, 531, 532[]
  5. vgl. Schmidt-Futterer/Eisenschmid Mietrecht 12. Aufl. § 543 BGB Rn. 96; Staudinger/Emmerich BGB [2014] § 536 Rn. 23; vgl. auch LG Mönchengladbach MDR 1992, 871[]
  6. vgl. Bub/Treier/Grapentin Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 4. Aufl. Kap – IV Rn. 320; BeckOGK/Mehle BGB [Stand: Juni 2016] § 543 Rn. 80[]
  7. vgl. auch BGH, Urteil vom 31.10.2012 – XII ZR 126/11 , NJW 2013, 223 Rn. 30 f.[]
  8. vgl. Hübner/Griesbach/Fuerst in Lindner-Figura/Oprée/Stellmann Geschäftsraummiete 3. Aufl. Kap. 14 Rn. 274; Ghassemi-Tabar in Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer Gewerberaummiete § 536 BGB Rn. 181[]
  9. vgl. auch LG Potsdam WuM 2015, 350, 352 ff.[]