Betriebsschließung in der Insolvenz – Massenentlassung und Sozialauswahl

Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung sind die Grundsätze der Sozialauswahl zu beachten.

In dem hier vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf entschiedenen Fall war der Arbeitnehmer bei der Arbeitgeberin, welche Aluminiumgussteile herstellte und vertrieb, seit dem 01.02.2012 beschäftigt. Die Arbeitgeberin beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 01.03.2022 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2022 zu. Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24.11.2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Arbeitgeberin am 28.11.2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Im Dezember 2022 sprach die Arbeitgeberin gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.

Alle Mitarbeitenden, auch der Arbeitnehmer dieses Verfahrens, wurden ab dem 01.01.2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren die Beschäftigten des Abwicklungsteams, das ausweislich der von der Arbeitgeberin vorgelegten Anlage 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasste, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31.03.2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30.06.2023 ausgesprochen wurden. Das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers kündigte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 16.12.2022 zum 31.03.2023.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Arbeitsgericht Solingen hat der hiergegen erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben1, das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat die Berufung der Arbeitgeberin als unbegründet zurückgewiesen:

Die Begründetheit der Kündigungsschutzklage folgt für das Landesarbeitsgericht zwar nicht aus § 17 KSchG i.V.m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellen nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist.

Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das Arbeitsgericht Solingen zutreffend ausgeführt habe. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen. Die Arbeitgeberin hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u.a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Arbeitgeberin nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Arbeitgeberin auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 9. Januar 2024 – 3 Sa 529/23

  1. ArbG Solingen, Urteil vom 13.04.2023 – 3 Ca 126/23[]