Einer schwangeren Arbeitnehmerin muss eine angemessene Frist eingeräumt werden, um nach Bekanntwerden ihrer Schwangerschaft ihre Kündigung noch vor Gericht anfechten zu können. Die in § 5 KSchG Eine Frist von zwei Wochen für den Antrag auf Zulassung einer verspäteten Klage scheint dem Gerichtshof der Europäischen Union dafür zu kurz zu sein.
In dem zugrunde liegenden Fall ficht eine Angestellte eines Pflegeheimes ihre Kündigung vor einem deutschen Arbeitsgericht an. Sie beruft sich auf
das Verbot, einer Schwangeren zu kündigen. Als die Arbeitnehmerin von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erlangt und die Kündigungsschutzklage erhoben hat, war die in § 4 KSchG vorgesehene ordentliche Klagefrist von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung – bereits verstrichen gewesen. Überdies hatte es die Arbeitnehmerin versäumt, innerhalb der in § 5 KSchG vorgesehenen weiteren Frist von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses für die Klageerhebung (hier also nach Kenntnis von der Schwangerschaft) einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage zu stellen.
Das mit diesem Rechtsstreit befasste Arbeitsgericht Mainz ist daher der Auffassung, dass es die Klage normalerweise als verspätet abweisen müsse. Es fragte sich jedoch, ob die in Rede stehende deutsche Regelung mit der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz („Richtlinie 92/85/EWG über schwangere
Arbeitnehmerinnen“) vereinbar ist.
Das Arbeitsgericht Mainz legte daher die Rechtsfrage dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vor, ob die nationalen deutschen Regelungen der §§ 4, 5 KSchG, wonach auch eine Frau, die als Schwangere besonderen Kündigungsschutz genießt, zur Erhaltung desselben zwingend innerhalb der dort normierten Fristen Klage erheben muss, mit der Richtlinie 92/85/EWG1 vereinbar ist1
Mit einem solchen Vorabentscheidungsersuchen haben die Gerichte der EU-Mitgliedstaaten nach Art. 267 AEUV die Möglichkeit, dem
Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Rechtsstreits, über den sie zu entscheiden haben, Fragen betreffend die Auslegung
des Unionsrechts oder die Gültigkeit einer Handlung der Europäischen Union vorzulegen. Der Unionsgerichtshof entscheidet dabei nur über die vorgelegte Rechtsfrage, nicht aber auch über den beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Dieser ist sodann unter Zugrundelegung der Entscheidung des Unionsgerichtshofs von dem nationalen Gericht zu entscheiden. Die Entscheidung des Unionsgerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, wenn diese über vergleichbare Fragen zu befinden haben.
Der Unionsgerichtshof stellte nunmehr fest, dass nach der deutschen Regelung eine schwangere Arbeitnehmerin, die zum Zeitpunkt
ihrer Kündigung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, über eine Frist von drei Wochen verfügt, um eine Klage zu
erheben. Dagegen verfügt eine Arbeitnehmerin, die aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund vor Verstreichen dieser
Frist keine Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, nur über zwei Wochen, um zu beantragen, eine solche Klage
erheben zu können.
Nach Auffassung des Unionsgerichtshofs scheint eine so kurze Frist, insbesondere verglichen mit der ordentlichen
Frist von drei Wochen, mit der Richtlinie unvereinbar zu sein. Insoweit hatte der Unionsgerichtshof bereits in einem früheren Urteil aus dem Jahr 20092 in Bezug auf eine Frist
von 15 Tagen, die für eine schwangere Arbeitnehmerin für die Erhebung einer Klage auf Nichtigerklärung ihrer Kündigung gelten sollte, bereits in
diesem Sinne geäußert.
In Anbetracht der Situation, in der sich eine Frau zu Beginn ihrer Schwangerschaft befindet, scheint, so der Unionsgerichtshof, diese kurze Frist nämlich dazu angetan, es der schwangeren
Arbeitnehmerin sehr zu erschweren, sich sachgerecht beraten zu lassen und gegebenenfalls einen Antrag auf
Zulassung der verspäteten Klage sowie die eigentliche Klage abzufassen und einzureichen.
Entgültig beantworten wollte der Gerichtshof der Europäischen Union die Frage jedoch noch nicht; es sei vielmehr Sache des Arbeitsgerichts, zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall sei.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 27. Juni 2024 – C -284/23