Der gesetzliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue, auf einem anderen Grundleiden beruhende Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls). Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zu dem Zeitpunkt beendet war, zu dem die weitere Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit führte.
In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall war die Arbeitnehmerin bei der beklagten Arbeitgeberin bis zum 31. Juli 2017 als Fachkraft in der Altenpflege beschäftigt. Seit dem 7. Februar 2017 war sie infolge eines psychischen Leidens arbeitsunfähig. Die Arbeitgeberin leistete Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bis einschließlich 20. März 2017. Im Anschluss bezog die Arbeitnehmerin auf der Grundlage von Folgebescheinigungen ihrer Hausärzte, die zuletzt am 5. Mai 2017 eine bis einschließlich 18. Mai 2017 fortbestehende Arbeitsunfähigkeit attestierten, Krankengeld. Am 19. Mai 2017 unterzog sich die Arbeitnehmerin wegen eines gynäkologischen Leidens einer seit längerem geplanten Operation. Ihre niedergelassene Frauenärztin bescheinigte am 18. Mai 2017 als „Erstbescheinigung“ eine Arbeitsunfähigkeit vom 19. Mai 2017 bis zum 16. Juni 2017 und durch Folgebescheinigung eine fortbestehende Arbeitsverhinderung bis einschließlich 30. Juni 2017. Im Juli 2017 erbrachte die Arbeitnehmerin im Hinblick auf ihr gewährten Urlaub und Überstundenausgleich keine Arbeitsleistungen mehr und begann eine Psychotherapie bei einem Neurologen.
Die Arbeitnehmerin erhielt in der Zeit vom 19. Mai bis zum 29. Juni 2017 weder von der Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung noch von ihrer Krankenkasse Krankengeld. Mit ihrer Klage hat sie für diesen Zeitraum von der Arbeitgeberin die Zahlung von 3.364,90 € brutto nebst Zinsen verlangt. Sie hat geltend gemacht, sie sei ab dem 19. Mai 2017 wegen eines neuen Leidens arbeitsunfähig gewesen. Die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung habe am 18. Mai 2017 geendet. Die Arbeitgeberin hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, den Umständen nach sei von einem einheitlichen Verhinderungsfall auszugehen. Die Arbeitnehmerin habe deshalb nur einmal für die Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beanspruchen können. Diesen Anspruch habe sie erfüllt.
Das erstinstanzliche Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, dagegen hat das Landesarbeitsgericht Niedersachen in der Berufungsinstnaz die Klage – nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von drei Ärzten – abgewiesen1. Die hiergegen gerichtete Revision der Arbeitnehmerin hatte vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg:
Ist der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig und schließt sich daran in engem zeitlichen Zusammenhang eine im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit an, hat der Arbeitnehmer im Streitfall darzulegen und zu beweisen, dass die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der weiteren Arbeitsverhinderung geendet hatte. Dies ist der Arbeitnehmerin nicht gelungen. Das Landesarbeitsgericht hat durch Vernehmung der die Arbeitnehmerin behandelnden Ärzte umfassend Beweis erhoben. Danach konnte nicht festgestellt werden, dass ein einheitlicher Verhinderungsfall nicht vorlag. Das gilt umso mehr als nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Untersuchung der Arbeitnehmerin durch den behandelnden Arzt bei der Feststellung der bis einschließlich 18. Mai 2017 attestierten Arbeitsunfähigkeit nicht erfolgte.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. Dezember 2019 – 5 AZR 505/18
- LAG Niedersachsen, Urteil vom 26.09.2018 – 7 Sa 336/18[↩]