Der Bundesgerichtshof hatte sich erneut mit der Haftung eines Fahrzeugherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall zu befassen. Konkret ging es diesmal um Fragen der Vorteilsausgleich und des Annahmeverzugs:
In dem jetzt vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nimmt die Autokäuferin die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im Februar 2015 von einem Autohaus ein Fahrzeug der Marke Volkswagen, Typ Tiguan 2.0 TDI als Neuwagen zu einem Kaufpreis von 34.500 €, den sie mit einem Kredit der Volkswagen Bank finanzierte. Sie leistete eine Anzahlung in Höhe von 9.000 € und beglich zwölf monatliche Raten à 152, 45 €. Die Schlussrate in Höhe von 24.139, 26 € zahlte sie nicht. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgerüstet. Die Motorsteuerung war mit einer das Abgasrückführungsventil steuernden Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wurde, und in diesem Falle in einen Abgasrückführungsmodus mit niedrigem Stickoxidausstoß schaltete. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in einen Abgasrückführungsmodus mit höherem Stickoxidausstoß. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete Mitte Oktober 2015 gegenüber der Autoherstellerin einen Rückruf für Fahrzeuge mit dem Motor EA189 an, verbunden mit der Aufforderung, die als unzulässig einzuordnende Abschalteinrichtung zu entfernen. Die Autoherstellerin entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ansah. Mit Schreiben vom 26.10.2016 forderte die Autokäuferin die Autoherstellerin auf, das Fahrzeug Zug um Zug gegen Erstattung der geleisteten Zahlungen und Freistellung von der Schlusszahlungsverpflichtung zurückzunehmen, wobei Gebrauchsvorteile für die Nutzung des Fahrzeugs nicht abzuziehen seien. Mit ihrer Klage verlangt die Autokäuferin die Erstattung ihrer an die Bank geleisteten Anzahlung und der beglichenen Raten in Höhe von insgesamt 10.829, 40 € nebst Zinsen sowie die Freistellung von der offenen Schlussrate Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Sie begehrt darüber hinaus die Feststellung des Annahmeverzugs der Autoherstellerin.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Berlin hat der Klage überwiegend stattgegeben1; es hat von der Klageforderung lediglich eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 9.758, 58 € in Abzug gebracht. Auf die Berufung der Autokäuferin hat das Berliner Kammergericht die in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung auf 8.910, 43 € reduziert und auf die Berufung der Autoherstellerin das landgerichtliche Urteil aufgehoben, soweit darin festgestellt wird, dass sich die Autoherstellerin mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet, und die Klage insoweit abgewiesen; die weitergehenden Rechtsmittel hat es zurückgewiesen2. Nach Auffassung des Kammergerichts steht der Autokäuferin ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen die Autoherstellerin zu. Die Autokäuferin sei von der Verpflichtung zur Erbringung der noch offenen Schlusszahlung freizustellen. Darüber hinaus seien ihr die auf den Darlehensvertrag geleisteten Zahlungen in Höhe von 10.829, 40 € zu erstatten. Hiervon sei allerdings eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 8.910, 43 € abzuziehen, so dass ein Zahlungsbetrag von 1.918, 97 € verbleibe. Der Feststellungsantrag sei dagegen nicht begründet. Die Autoherstellerin befinde sich nicht in Annahmeverzug. Das Angebot der Autokäuferin entspreche nicht der tatsächlich von der Autoherstellerin geschuldeten Leistung. Die Autokäuferin sei bis zuletzt nicht bereit gewesen, den auch nur annähernd zutreffend unter Abzug der Nutzungsentschädigung berechneten Zahlungsbetrag entgegenzunehmen. Die hiergegen gerichtete; vom Kammergericht zugelassenen Revision der Autokäuferin hat der Bundesgerichtshof zurückgewiesen; das Kammergericht habe zu Recht angenommen, dass sich die Autokäuferin im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen müsse:
Nach den von der Rechtsprechung im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile anzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtungsweise gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein. Letztlich folgt der Rechtsgedanke der Vorteilsausgleichung aus dem in § 242 BGB festgelegten Grundsatz von Treu und Glauben3.
Nach diesen Grundsätzen ist der Schadensersatzanspruch der Autokäuferin im Wege des Vorteilsausgleichs um die von ihr gezogenen Nutzungsvorteile zu reduzieren. Dem Vorteilsausgleich steht nicht das Gebot unionsrechtskonformer Rechtsanwendung entgegen. Dies gilt auch für den Fall, dass es sich bei den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und den §§ 6, 27 EG-FGV um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB handelte. Denn die nationalen Gerichte sind berechtigt, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt4. Dementsprechend ist es mit dem unionsrechtlichen Effizienzgebot grundsätzlich vereinbar, einen Ersatzanspruch nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung zu reduzieren, soweit er zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Anspruchsberechtigten führte5.
Ob eine andere Beurteilung geboten ist, wenn die Nutzungsentschädigung den Schadensersatz vollständig aufzehrt6, kann offenbleiben. Denn eine derartige Fallgestaltung ist vorliegend nicht gegeben. Der Autokäuferin ist nicht nur ein Betrag in Höhe von 1.918, 97 € zuerkannt worden; die Autoherstellerin ist darüber hinaus dazu verurteilt worden, die Autokäuferin von der Verpflichtung zur Zahlung der Schlussrate in Höhe von 24.139, 26 € freizustellen.
Gegen die Bemessung der Höhe der von der Autokäuferin gezogenen Nutzungsvorteile (§ 287 ZPO) erhebt die Revision keine Beanstandungen.
Aufgrund des vorzunehmenden Vorteilsausgleichs ist auch der auf Feststellung des Annahmeverzugs der Autoherstellerin gerichtete Antrag der Autokäuferin unbegründet. Die Autokäuferin hat im Hinblick darauf, dass sie in dem Schreiben vom 26.10.2016 die Erstattung und Freistellung bezüglich des gesamten Kaufpreises verlangt und sich noch bis in die Revisionsinstanz gegen die Anrechnung von Nutzungsersatz gewehrt hat, durchgängig die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als sie hätte beanspruchen können. Sie hat damit ihr Angebot zur Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an unberechtigte Bedingungen geknüpft. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Autoherstellerin geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben7.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. Januar 2023 – VI ZR 316/20
- LG Berlin, Urteil vom 09.04.2019 – 38 O 147/18[↩]
- KG, Urteil vom 18.02.2020 – 14 U 88/19[↩]
- st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 65 mwN; vom 13.04.2021 – VI ZR 274/20, NJW 2021, 2362 Rn.19; vom 20.07.2021 – VI ZR 533/20, NJW 2021, 3594 Rn. 27 und – VI ZR 575/20, ZIP 2021, 1922 Rn. 28[↩]
- vgl. EuGH, Urteile vom 25.03.2021 – C501/18, WM 2021, 826 Rn. 125; vom 13.07.2006 – C295/04 bis C298/04, EuZW 2006, 529 Rn. 94 mwN; Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022 – C100/21 61 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 76 a.E.; BGH, Urteil vom 28.06.2011 – KZR 75/10, BGHZ 190, 145 Rn. 63 mwN zum Kartellschadensersatz[↩]
- vgl. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022 – C100/21 62; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 15[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 85; vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn. 30; vom 14.12.2020 – VI ZR 573/20, NJW-RR 2021, 187 Rn. 4; vom 23.03.2021 – VI ZR 3/20, NJW-RR 2021, 1534 Rn. 15; BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 192/20, NJW 2022, 321 Rn. 50[↩]